Jakob Friedrich Reiff

Sätze über die Philosophie

 

Der Anfang der Philosophie ist die Abstraction vom Gegebenen; diese ist die unumgängliche erste Bedingung alles Philosophirens. Daß, wer philosophiren will, auch vom Gegebenen abstrahiren müsse, ist ein ganz identischer Satz, gerade so, wie, daß, wer gehen will, seine Füße in Bewegung zu setzen habe. (System der Willensbestimmungen, S.25/26)

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Man kann nicht sagen, daß die Philosophie bisher die Stellung behauptet habe, die ihr gebührt. Die der neueren europäischen Welt eigenthümliche Entzweiung des Glaubens und der Vernunft hat das Recht derselben unter die Herrschaft des Glaubens gedrückt; sie hat sich dabei meist den schönen Ruhm erworben, mitten unter den Misshandlungen und Verdammungen, die sie von Seiten des Glaubens zu erfahren hatte, mit einer Consequenz, die ihrem Rechte gleichkam, wie auf ein Ziel vorwärts zu schreiten, das nach einer göttlichen Nothwendigkeit erreicht werden müsse – und hat dadurch immer mehr das edle Bewußtsein ihrer Selbstständigkeit gesichert. Bald fühlte die Philosophie sich so erstarkt, daß sie ihre einseitige Stellung neben der Religion aufgeben zu können glaubte, den Glauben, der seinen Inhalt verloren hatte, wiederherzustellen behauptete, und damit denselben als ihren eigenthümlichen Besitz in Anspruch nahm; sie verkündigte ihre Versöhnung mit der Religion. Aber diese Versöhnung ergab sich bald als eine Täuschung. Die Religion mochte es nicht gelten lassen, dass sie ein eigenthümlicher Besitz für die Philosophie sei, sie hat sich von ihrem alten Anspruche, zu herrschen, noch nicht trennen können, mit ihrer Selbstständigkeit und Ursprünglichkeit glaubte sie sich selbst gefährdet; zudem konnte sie sich darüber beschweren, daß die Philosophie, die sie wiederherzustellen versprach, ihr einen Stein, statt des Brods gereicht habe. Die Philosophie aber, als sie anfing Christum zu predigen, mußte sich bald auf ein heterogenes Gebiet versetzt fühlen; es erging ihr, wie jenem Riesen, der über die Erde erhoben seine Stärke verlor, sie mußte auf der Erde ihren festen Standpunkt nehmen, um ihrer natürlichen Kraft, der freien Kraft des menschlichen Geistes, wieder bewußt zu werden. (Syst.1/2) 

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Das Grundproblem der Philosophie ist der Ursprung der Dinge. (Syst.3) 

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Was kann uns berechtigen, über uns hinauszugehen und ein Reales ausser und über unserem Selbstbewußtsein anzunehmen? diese Frage – seit Kant die Frage der Philosophie – wird durch die Lehre von einer in sich beschlossnen, in sich fertigen Persönlichkeit abgeschnitten, hier ist keine Ahnung jenes Widerspruchs im Begriffe des Ich vorhanden, aus welchem jene eigenthümlich philosophische Frage hervorgegangen ist. (Der Anfang der Philosophie S.VI) 

Nicht das Leben, das sich vor dem Tode scheut und von der Verwüstung rein bewahrt, sondern das ihn erträgt und in ihm sich erhält, ist das Leben des Geistes. Er gewinnt seine Wahrheit nur, indem er in der absoluten Zerrissenheit sich selbst findet. In der Tiefe dieses Gegensazes entspringt erst die wahre Philosophie. Sie nimmt die alte Schuld, die auf dem Menschengeiste lastet, seit er die erste Unschuld seines Lebens verscherzt, die Schuld der Entfremdung von seinem Objecte in der ganzen Schärfe ihrer Entzweiung auf sich, um sie zu tilgen. Sie macht daher Ernst mit der großen Frage, wie wir dazu kommen, ein Reales, das ausser und über unserem Selbstbewußtsein liegt, zu wissen. (Anf.X) 

Die Philosophie darf von den Forderungen des Gemüths nicht unterjocht werden, aber sie darf ihnen auch nicht widersprechen. Das Gemüth hat keinen Werth, wenn es die scharfe Critik des Verstandes nicht auszuhalten im Stande ist; und ohne Zweifel kann das Gemüth so gut irren, wie der Verstand, aber es ist noch hartnäckiger in der Festhaltung des Irrthums, als der Verstand, sein Irrthum wird leichter zur Gewohnheit, zu einem Liebling des Herzens, als der Irrthum des Verstandes, weil es leicht in Eine Vorstellung, in welche viele ununterschieden zusammengehen, sich vertieft, ohne die Unterschiede zu fixieren, das Denken aber durch den Reichthum und die Mannigfaltigkeit seiner Thätigkeit von selbst zur Scheidung der Vorstellungen und somit zur Erkenntniß des Irrthums geführt wird. (Anf.XII) 

Diejenigen, welchen die Wahrheit nur Gegenstand des Genusses, oder um mit dem gewöhnlichen Euphemismus zu reden, der Befriedigung der Herzensbedürfnisse ist, klagen über die trockne, kalte Form, in welcher die Philosophie die Wahrheit gebe; denn die Wahrheit ist für sie ein Pelz, das frierende Herz zu wärmen, und sie sind nicht im Stande, durch die trockne Form der Philosophie hindurch die Begeisterung zu fühlen, deren glühender Strom in ihr zu ruhigen und festen Gedankengestalten erkaltet ist. (Anf.XXI) 

Die Philosophie muß durchaus selbstständig sein; sie darf, um Wahrheit zu haben, nicht bei der Religion betteln gehen. (Anf.167) 

Die Philosophie ist es, welche das Denken befreit; sie läßt kein Positives gelten, von welchem das Denken unterjocht werden soll, aber sie erzeugt auch den wahren Sinn für das Positive, d.h. sie lehrt objectiv denken und die Wahrheit als eine gegenständliche anerkennen. (Anf.254) 

 

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